Kolumbien – Auf dem Camino Real

Silvester war vorbei: Wir waren von der Küste durchs Magdalenatal ins Landesinnere aufgebrochen und hatten auf halbem Weg nach Bogota in San Gil Station gemacht, um hier den Jahreswechsel zu begehen. Gemeinsam mit Einheimischen hatten wir eine mit Knallkörpern gefüllte Puppe angezündet und in die Luft gejagt, was den Abschied vom alten Jahr symbolisiert. Danach wurden wir von zahlreichen fremden Menschen unter „Feliz año!“-Wünschen umarmt, bekamen Becher mit Whisky in die Hand gedrückt, die fortan nie leer werden sollten. Viele bemühten sich, mit uns ins Gespräch zu kommen. Oft wollte man von uns wissen, wie uns Kolumbien gefällt. Diese Frage begeistert zu beantworten war glücklicherweise bereits nach nur zwei Wochen ein Leichtes!

Am 3. Januar sollte das touristischste Wochenende des Jahres auf uns zukommen – halb Kolumbien würde unterwegs sein, um sich vor Beginn des neuen Arbeitsjahres nochmals anständig zu erholen, bzw. erstmal zu besaufen, dann davon zu erholen. Als uns unser Hostelbesitzer ein Bild von überfüllten Hotels, verstopften Straßen und mangels Platz im Auto schlafenden Leuten malte, sahen wir uns entsetzt an: Ohne uns – ein Fluchtplan musste her! Also brachen wir auf, um die abwechslungsreiche Landschaft rund um San Gil zu erkunden. Alte, noch von den Conquestatoren angelegte Fußwege, zusammengefasst unter dem Begriff Camino Real, verbinden einige kleine koloniale Dörfer und führen vorbei an Tabakplantagen, durch Wälder, und weiter tief hinein in den Chicamocha Canyon und auf der anderen Seite wieder hinauf. Mehrere Tage kann man auf diesen Wegen abseits der Straße unterwegs sein, und genau das hatten wir vor – ausgerüstet waren wir lediglich mit einer stichwortartigen, fünf Jahre alten Wegbeschreibung, Wasser und etwas Ersatzkleidung.

Am ersten Tag nahmen wir den Bus ins 45 Minuten entfernte  Barrichara. In diesem herausgeputztem kolonialen Dörfchen wuselte es richtiggehend von kolumbianischen Tagesgästen. Das Dorf selbst war ausgesprochen schnuckelig mit seinen weißen alten Häusern und schönen Kirchen in den geplasterten, engen Gassen, sodass wir während des Herumschlenderns etwas die Zeit übersahen – erst gegen Mittag wanderten wir los und um noch vor Einbruch der Dunkelheit bei unserem Tagesziel anzukommen, würden wir uns beeilen müssen.

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Das Dorf Barrichara

Der Weg führte zuerst ein paar Stunden steil bergab in das Dorf Guane – ebenfalls bildhübsch und in ähnlichem, fast mediterranen Stil – und danach lange Zeit wieder bergauf. Die umgebende Landschaft war so malerisch, dass wir uns einfach nicht beherrschen konnten und immer wieder Fotostopps einlegten. Die Zeit, die diese kosteten, versuchten wir durch schnelles Gehtempo wieder wettzumachen, denn unsere Schatten wurden immer länger und unser Ziel war noch nicht in Sicht. Hoch oben auf dem Bergkamm sahen wir dann endlich, in nicht allzu weiter Ferne im nächsten Tal, Villanueva, wo wir die Nacht verbringen wollten.

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Guane

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Mangels (bis dato) besseren Wissens haben wir diese immer wieder den Weg säumenden schönen Gewächse "Bartbäume"genannt.

In Villanueva machten wir mal wieder Bekanntschaft mit kolumbianischer Gastfreundschaft: Die wenigen hier vorhandenen Gastwirtschaften, in denen wir nach Zimmern fragten, waren voll und so stellten wir uns schon auf eine mosquitoreiche Nacht auf einer Parkbank ein, aber zwei hilfsbereite Einheimische wiesen uns an, einfach mal hier zu warten, es würde sich schon etwas finden.
Also schwärmten sie aus, einer auf dem Moped, der andere zu Fuß… und keine viertel Stunde später hatten wir tatsächlich ein Zimmerchen. Was sollte es denn kosten, fragten wir den Herrn des Hauses – wissend, dass wir fast jeden Preis bezahlen würden. Aber er wollte nur umgerechnet ein paar Euro für ein wirklich schönes Zimmer mit eigenem Bad. Seine nette Frau kochte uns am nächsten Morgen noch vor unserem frühen Aufbruch zum ersten Hahnenschrei Kaffee und schenkte uns jedem eine handvoll Mandarinen als Wanderproviant.

Unsere ohnehin dürftige Wegbeschreibung, die uns schon am ersten Tag mit so exakten Angaben wie „follow the road for a very long while“ zur Verzweiflung gebracht hatte, versagte am Tag 2 völlig. Nach dem Weg zu fragen und die Antwort zu verstehen gehört gottseidank schon längst zu unserem Standardrepertoire, und obwohl die Gegend recht einsam war, schien es uns, als würden wir gerade dann andere Menschen treffen, wenn wir mal nicht weiter wussten. Wie schön, Murphys Gesetz einmal umgekehrt! Ohne den kleinsten Umweg erreichten wir also den Rand des Chicamocha Canyons. Gerade in der schlimmsten Mittagshitze schleppten wir uns die 900 Höhenmeter nach unten. Dabei mussten wir dem Drang widerstehen, uns an den dunklen Felsen festzuhalten: Diese waren so aufgeheizt, dass man sich daran die Finger verbrannte.

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Blick vom Canyon-Rand

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Jordán, das wir nach dem harten Abstieg endlich erreichten, hat Ähnlichkeit mit einem Geisterdorf: Einst ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und eine belebte Siedlung, verlor das Dorf nach dem Bau einer neuen, entfernt liegenden Straße völlig seine Existenzgrundlage. Heute leben nur noch etwa 30 Personen in Jordán, und die meisten der einst prächtigen, heute verfallenen Kolonialhäuser werden nur noch als Unterstand für Ziegen verwendet. Ein Restaurant sucht man vergeblich, aber die in unserer Wegbeschreibung erwähnte Señora willigte wie angekündigt ein, abends für uns zu kochen. Nach einem herrlich erfrischendem Bad im Fluss fielen wir hungrig über das vorzügliche Ziegenfleisch her, das uns kredenzt wurde – während keine drei Meter neben uns ein paar noch lebendige Exemplare vor sich hin meckerten.

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Jordáns ausgestorbener 'Hauptplatz' hat schon bessere Zeiten erlebt - etwas unheimlich, vor allem Nachts mit Weihnachtsbeleuchtung

Am dritten Tag wollten wir die gegenüber liegende Cayonwand hochsteigen, um in Los Santos einen Bus zurück nach San Gil zu ergattern.

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Der Aufstieg war aufgrund der Hitze wie erwartet sehr anstrengend. Während wir unsere verschwitzten Gesichter nicht mehr trocken wischen konnten, da die Kleidung ebenfalls schon völlig nassgeschwitzt war, fiel wieder des öfteren unser erschöpftes Wandermantra „Es hört nie auf… Es geht immer so weiter“. Ein uns mit seinem Muli überholender Mann widersprach dem: nur noch 5 Minuten bis nach oben, beteuerte er, woraufhin Sonja kurzzeitig zum Woo-Girl mutierte. Oben angekommen, fragte uns der Mulimann: „Listos?“ (Fertig?). Aus tiefster Überzeugung antworteten wir: „Si, listo!“. Ob Listo auch die selbe Doppelbedeutung besitzt wie das deutsche „Fertig“ wussten wir nicht, aber wir waren jedenfalls beides, fertig und fertig.

Doch die richtige Plag‘ begann erst danach: Wie in der Wegbeschreibung prophezeit, fährt von Los Santos kein Bus zurück nach San Gil. Man kann sich aber von Bussen mit anderer Destination ein Stückchen mitnehmen lassen und an einer Kreuzung aussteigen, von wo aus man einen vorbeifahrenden Bus nach San Gil heranwinkt. Klingt einfach, war es aber nicht. An jener Kreuzung warteten wir also in der gnadenlosen Mittagssonne, doch die Busse waren alle voll und blieben daher nicht für uns stehen. Ein vorbeifahrender Kolumbianer hatte wohl Mitleid mit uns und bot uns an, uns die halbe Strecke mitzunehmen und an einer Stelle rauszulassen, wo wir es einfacher hätten einen Bus zu ergattern. Das nette Angebot nahmen wir gerne an! Auf diese Weise hatten wir nicht nur einen sehr interessanten Gesprächspartner für die Fahrt gefunden, sondern wurden danach auch noch kostenlos in den Vergnügungspark geschleust, in dem unser neuer Bekannter arbeitete – total nett! Von dort aus erwischten wir endlich einen Bus nach San Gil.

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Im Bus immer recht prominente Heiligenbilder - der Busfahrer war offensichtlich der Ansicht, damit ausreichend für Sicherheit gesorgt zu haben und nun ruhigen Gewissens in Kurven überholen zu können, während er an seinen beiden (!) Handys herumtippte... gelenkt wurde mit den Ellenbögen. Gut, dass wir in dieser Hinsicht nach 5 Monaten in Südamerika schon abgehärtet sind!

Verdreckt und müde, aber über beide Ohren glückselig grinsend kamen wir wieder in unserem alten Hostel an, der Großteil der Besuchermassen war bereits wieder abgezogen.

Was für eine geniale Wanderung durch schönste Landschaften, ohne einen einzigen anderen Westler zu treffen. Und wie perfekt sich alles ergeben hatte, vom Finden des richtigen Wegs, bis hin zu Übernachtungsplätzen und der Rückfahrt. So muss Reisen!

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